TRIBÜNE

Modernisierung

Text: Piet Bosse

Alles neu?

Seit mehr als einem Jahr laufen Bauarbeiten zur Modernisierung des Volksparkstadions. Die Maßnahmen sind langfristig ausgerichtet, wobei insbesondere die Europameisterschaft im Sommer ein wesentlicher Meilenstein ist.

Bereits seit der WM-Pause im November 2022 wird im Volksparkstadion gebaut. Die Bilder, wie Teile des Dachs mit Kränen und Höhenarbeitern ausgetauscht wurden, waren einprägsam, auch dürften viele HSV-Fans bemerkt haben, dass sich der Sound bei der Stadionshow Ende des vergangenen Jahres verändert hat. Das Bild, wie das Stadion nach dem 4:3-Erfolg beim Stadtderby im April in Blau getaucht war, haben viele sicher noch vor Augen. Das Stadion wird renoviert, auch wegen der im Sommer stattfindenden Europameisterschaft, aber nicht nur deswegen. Die nachhaltige Verbesserung des Stadionerlebnisses und die Modernisierung der Infrastruktur sind die wesentlichen Faktoren der Maßnahmen.

Mit Blick auf das Turnier im Sommer werden ab Mai zusätzlich temporäre Umbaumaßnahmen nur für die Europameisterschaft umgesetzt. Gebaut wird am Stadion aber schon seit mehreren Monaten. Die meisten Bauarbeiten sind langfristig angelegt. „Die haben alle einen nachhaltigen Effekt für uns als Verein, für unsere Heimspiele und andere Großveranstaltungen“, sagt Christian Lenz, Leiter Projektmanagement und Standortentwicklung beim HSV.

Die Maßnahmen umfassen die Erneuerung der Dachmembran, die Erweiterung der sanitären Anlagen und der Klimatisierung im VIP-Bereich. Die Flutlicht- und Beschallungsanlagen wurden ebenso erneuert wie deren Stromversorgung. Seit Januar werden außerdem die Rollstuhlplätze im Volksparkstadion umgebaut. Die Bauarbeiten kosten insgesamt zwischen 25 und 30 Millionen Euro und sind durch ein im Jahr 2022 aufgenommenes Darlehen refinanziert.

„Wir wollen die Qualität des Stadionbesuchs erhöhen.“

Christian Lenz

Obwohl all diese Schritte einen nachhaltigen Effekt haben und nicht nur in direktem Zusammenhang mit der Europameisterschaft im Sommer stehen, habe das Turnier das Momentum für die Umsetzung geschaffen, sagt Lenz. „Von der Uefa gibt es einen Anforderungskatalog an die Austragungsstadien, dieser betrifft zum Beispiel Beschallungs- und Flutlichtanlagen, die bestimmte Werte aufweisen müssen.“ Das hat auch Auswirkungen auf Rollstuhlplätze und die Anzahl von Toiletten. „Als wir uns für die Europameisterschaft beworben ­haben, wollten wir langfristig in unser Stadion investieren und keine ausschließlich temporären Lösungen nur für die EM umsetzen.“

2017 startete der Bewerbungsprozess für das Turnier. „Wir hatten mit dem Sommer 2024 einen Meilenstein, auf den wir hingearbeitet haben. Dann haben wir Planungen und Ausschreibungen durchgeführt.“ Zu Beginn der WM-Pause 2022 begannen die ersten Maßnahmen. „Wir haben die Strominfrastruktur umgestellt und das Flutlicht ausgetauscht.“ Das Flutlicht entspricht jetzt modernsten Anforderungen: „Wir haben ausreichend Ausleuchtung für modernste Fernsehübertragungen“, sagt Lenz. Auch können das Stadioninnere, das Dach und die Pylonen an der Fassade jetzt in verschiedenen Farben ausgeleuchtet werden. Blaues Licht hat beispielsweise nach dem 4:3-Heimsieg gegen den FC St. Pauli im April 2023 für eine besondere Atmosphäre gesorgt.

Die neue Beschallungsanlage wurde Ende November beim Heimspiel gegen Eintracht Braunschweig eingeweiht. Neben einem deutlich höherwertigen Klang und einer wesentlich besseren Sprachverständlichkeit hat auch sie eine ­Besonderheit: „Wir können einige Bereiche runterregulieren, zum Beispiel werden die Medientribüne und der Innenraum weniger stark beschallt. Das können wir digital steuern.“ Die Lautsprecher hängen jetzt weiter innen im Dach: „Dadurch haben wir bessere Beschallungswinkel“, sagt Lenz.

Die Lautsprecher hängen nun weiter innen im Dach, was den Beschallungswinkel ändert und besseren Ton mit sich bringt

Foto: Witters

Von dem Turnier unabhängig ist das Dach. Es hätte theoretisch auch nach der Euro 2024 ausgetauscht werden können. Um das Dach erneuern zu können, wurden acht Pylonen im Osten des Stadions verstärkt. Kurz nach dem ersten Saisonheimspiel gegen Schalke 04 wurde die erste Dachmembran ausgetauscht. „Ungefähr 35.000 Quadratmeter Membran teilen sich auf vierzig Felder auf“, erklärt Lenz. Die Felder wurden nacheinander getauscht, kurz vor Weihnachten das letzte. In einem finalen Schritt wurden die restlichen Detailbereiche geschlossen und die Entwässerung des Dachs wieder angebunden. Die Dacharbeiten sind seit Februar abgeschlossen.

Die Bauarbeiten zur Erweiterung der Sanitärbereiche laufen noch. In Ebene vier in den vier Ecken des Stadions und auf Ebene zwei im Süden und im Norden entstehen neue Toiletten, alle neu gebauten Urinale sind wasserlos und senken somit den Verbrauch. Die Anzahl von Männer-WCs, Frauen-WCs und Urinalen wird um etwa fünfzig Prozent erhöht. Insgesamt sind vierzig Urinale neu, was die Anzahl auf 290 Urinale erhöht. Hinzu kommen 86 Männer-WCs, sodass es dann 136 Kabinen gibt. 226 Frauentoiletten gibt es nach der Erweiterung, das sind 101 mehr als zuvor. Auch die Frisch- und Abwassersysteme sowie die Stromversorgung mussten im Rahmen der Erweiterungen der Toiletten ertüchtigt werden.

Außerdem entsteht eine Divers-Toilette im Süden des Stadions. „Dass Besucher und Besucherinnen weniger lange warten müssen, um auf Toilette zu gehen, wird die Qualität des Stadionbesuchs erhöhen“, sagt Lenz.

Auch die Toiletten für Menschen mit Behinderung werden ergänzt, es gibt vier neue WCs, was die Anzahl auf zehn erhöht. Eine Toilette für alle entsteht ebenfalls, sie ist ausgestattet wie eine Toilette für Menschen mit Behinderung. Die Ausstattung wird ergänzt durch eine spezielle Hebevorrichtung und eine Liege zum Umziehen. „So haben auch Menschen mit einem relativ hohen Grad der Behinderung besseren Zugang zu sanitären Anlagen“, erklärt Lenz. Die ersten baulichen Maßnahmen begannen im Februar 2023, Ende März dieses Jahres sollen sie abgeschlossen sein.

Auch im VIP-Bereich gibt es Modernisierungen. In den Logen auf der Ost-Tribüne wird die Klimatisierung seit Oktober 2023 erneuert. Zudem werden auch die Loungeflächen klimatisiert. Die Arbeiten werden noch bis Ende März dauern. Installiert werden zwei Arten von Klimaanlagen. „Es gibt Kälteregister, die in die bestehende Lüftungsanlage integriert werden. So wird die von außen eingebrachte Luft gekühlt“, sagt Lenz und erklärt auch die zweite Art der Klimatisierung durch sogenannte Split-Geräte: „Sie saugen Luft im Raum an, kühlen sie ­herunter und pusten sie wieder raus.“ Mit beiden Maßnahmen kann die Temperatur in den Räumen um bis zu sechs Grad Celsius gesenkt werden. Das ist eine Vorgabe der Uefa, sorgt aber auch sonst bei Heimspieltagen für angenehmere Bedingungen: „Wenn die VIP-Bereiche voll sind, kann es schon sehr warm werden“, sagt Lenz.


„Für die Zuschauer soll die tolle Atmosphäre im Mittelpunkt stehen.“

Christian Lenz

Ab November wurden die Rollstuhlrampen im Stadion um- und ausgebaut. Ab März gibt es 130 statt 75 Plätze für Rollstuhlfahrer:innen. „Die Plätze sind hauptsächlich auf Ebene zwei im Süden. Wenn Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Rampen bisher aufgestanden sind, konnten die Menschen im Rollstuhl nichts mehr sehen.“ Deshalb wurde die hinterste Sitzplatzreihe weggenommen und der Rollstuhlbereich nach vorn gezogen. „Jetzt können sie über die Köpfe hinweg weiter das Spiel sehen.“ Eine neue Rollstuhlrampe entsteht auch im hinteren Bereich des Familienblocks in der südöstlichen Stadionecke. „Ein besonderer Impuls von Fanny Boyn, unserer Inklusionsbeauftragten, war es, das inklusive Erlebnis näher an die Heimfans zu bringen. Deshalb werden wir auch in 21A eine Rollstuhlrampe im hinteren Bereich installieren“, sagt Lenz. Die Bauarbeiten erfolgten während des laufenden Spielbetriebs zwischen den Heimspielen. Die Rollstuhlplätze werden während der Heimspiele trotz Bauarbeiten genutzt.

Seit Dezember 2023 werden außerdem 94 Stromunterverteilungen ausgetauscht. Sie werden neu produziert, ins Stadion gebracht und eingebaut. Der Vorgang läuft noch bis Mai und bringt viel Koordinationsaufwand mit sich, weil die jeweiligen an die Stromverteiler angeschlossenen Steckdosen temporär nicht funktionieren. „Das betrifft sowohl Flächen, die an Heimspieltagen genutzt werden, als auch Büroräume.“

Umbauten für die Europameisterschaft

Alle weiteren Maßnahmen sind temporär für die Europameisterschaft. Dazu gehört die Erweiterung der Medientribünen von einem Block auf die Umliegenden. „Wir werden Sitzschalen demontieren, und die Verantwortlichen der Uefa werden die Medientribüne bauen.“ Ungefähr 3000 weitere Sitzplätze werden für Medienvertreter:innen und Infrastruktur wie Kameraplätze verwendet. „Das Medienaufkommen bei einer Europameisterschaft ist deutlich höher als bei Erst- oder Zweitligaspielen“, erklärt Lenz. Auch wird es zusätzliche Kamerapositionen für TV-Übertragungen geben.

Durch diese Maßnahmen gibt es weniger Sitzplätze als sonst. Die Stehplätze werden, wie bei den Europapokalspielen von Schachtar Donezk, in Sitzplätze umgewandelt. „Dann haben wir normalerweise 53.000 Sitzplätze für Zuschauerinnen und Zuschauer, bei der Europameisterschaft werden es knapp unter 50.000 Plätze sein.“

Vor dem Fanshop im Norden des Stadions und im A-Rang im Süden entstehen TV-Studios und Moderationspodeste. Auch der Parkplatz Weiß wird für das Fernsehen genutzt. „Dort werden Übertragungswagen und Medienarbeitsplätze sein.“ Das Stadion wird außerdem in das Design der Euro 2024 getaucht und manche Flächen im VIP-Bereich werden zu Büros umfunktioniert.

Nach dem Turnier wird die Medientribüne wieder verkleinert und die temporären Maßnahmen werden zurückgebaut.

Europapokalspiele von Schachtar Donezk als Testlauf

Dass im Volksparkstadion bereits in den Monaten zuvor die Europapokalspiele von Schachtar Donezk stattgefunden haben, habe aber keinen großen Einfluss auf die Stadionumbauten gehabt, sagt Lenz. „Wir hatten Baustellenunterbrechungen, aber es hat alles gut funktioniert. Solche Spiele machen Lust auf mehr.“ Für die Organisation der Europameisterschaft sei das ein kleiner Testlauf, auch wenn der Aufwand bei der Europameisterschaft noch mal wesentlich höher sei.

Mit den grundlegenden Veränderungen im Volksparkstadion hat die Europameisterschaft aber nur direkt zu tun, weil sie den zeitlichen Rahmen gesetzt hat. „Ohne die Europameisterschaft hätten wir die Arbeiten wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum realisiert“, sagt Lenz und ergänzt: „Wir hätten das Stadion auch ohne die Europameisterschaft modernisiert.“ Für diverse Veranstaltungen wie HSV-Spiele, internationalen Fußball, andere Sportveranstaltungen oder Konzerte sei es wichtig, ein modernes Stadion zu haben. „Für die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen immer das Spiel und die tolle Atmosphäre auf den Rängen im Mittelpunkt stehen. Mit einer bestmöglichen Infrastruktur möchten wir dafür die bestmöglichen Rahmenbedingungen bieten. Dazu gehört zum Beispiel, dass man nicht die ganze Halbzeitpause braucht, um auf Toilette zu gehen.“ |