TRIBÜNE

Sexismus im Fußball

Text: Mia Guethe

Wann gehört der Fußball endlich uns allen?

Einen sexuellen Übergriff aus den eigenen Reihen nimmt die Betroffene zum Anlass, über die vielen Facetten des Sexismus gegen weibliche Fußballfans zu schreiben. Dabei geht es auch um die falsche Art von Anerkennung.

Illustration: Adobe Stock

Es sind die Momente, die nach einer langen Saison im Gedächtnis bleiben. Nach unendlich vielen vertanen Chancen steuert mein Herzensverein mal wieder auf ein schnödes 1:1 in Hannover zu, ich mache mich bereit für eine eher mäßig gelaunte Rückfahrt. Das ist sportlich zu wenig.

Doch dann scheint es der Fußballgott doch noch gut zu meinen mit dem HSV: Ransford-Yeboah Königsdörffer schnappt sich in der letzten Minute der Nachspielzeit die Kugel und stürmt allein auf Ron-Robert Zieler zu. Tor. 2:1. Das ist sportlich auf einmal genug, emotional ist es schon fast zu viel, in jedem Fall überwältigend.

So werden es die meisten Auswärtsfahrenden von jenem Tag in Erinnerung behalten, pure Ekstase bricht auf den Rängen aus, der Gästeblock explodiert, so auch die umliegenden Bereiche, ebenfalls größtenteils von HSV-Fans kolonisiert.

Dort befinde auch ich mich in diesem Moment, als sich neunzig Minuten Nervosität auf einen Schlag entladen und ich für einen Moment das überwältigende Glücksgefühl verspüre, was all jene, die eine ähnlich emotionale (ungesunde) Beziehung zum Fußball führen wie ich, nur allzu gut kennen.

Die Hand zwischen meinen Beinen

Nur, dass das nicht das ist, was ich heute fühle, wenn ich an diesen Moment und dieses Spiel zurückdenke. Ich denke nicht an ein Tor, das uns retrospektiv womöglich entscheidende Punkte im Aufstiegsrennen bescherte, nicht an einen Spielverlauf, der eine Mannschaft beflügeln sollte, nicht an den Inhaber des griechischen Restaurants, der später am Abend noch auf anrührende Weise erzählt, er sei 1983 in Athen im Stadion gewesen.

Nein, statt an Königsdörffers feinen Fuß denke ich an die wenig feine Hand, die ich mitten im tobenden Jubel zuerst am Po und dann zwischen den Beinen spürte, zu zielstrebig, um Versehen zu unterstellen, zu schnell, um zu identifizieren, welchem der rund acht bis zehn Männer, die sich beim ausgelassenen Jubel um mich tummelten, die Hand zuzuschreiben ist. Ich denke in erster Linie an einen sexuellen Übergriff, nach dem ich dann das Stadion verließ, umzingelt von Männern, von denen jeder der Täter hätte sein können.

Als ich danach in einem kurzen Tweet von dieser Erfahrung erzählte, brauchte ich nicht lange zu warten, bis auch Männer Solidarität und Beistand bekundeten, wofür ich dankbar bin. In einigen ihrer Fragen und Kommentare – „Warum hast du nichts gesagt?“ oder auch „Lass dir das das nächste Mal nicht gefallen!“ – offenbarte sich jedoch auch schnell, dass viele von ihnen, vielleicht sogar die meisten, immer noch nicht verstehen, wie es wirklich ist, Fußballfan und gleichzeitig Frau zu sein.

„Viele verstehen noch nicht, wie es wirklich ist, Fußballfan und gleichzeitig Frau zu sein.“

Die vielen Facetten des Sexismus

Sexuelle Übergriffe im Stadion oder auf dem Weg dahin sind nämlich nur der Gipfel des Eisberges, das am einfachsten als Missstand zu entlarvende Phänomen im Kontext Sexismus rund um diesen Sport. Meiner Erfahrung nach liegt aber fast jedem noch so rudimentären Aspekt des Fußballfandaseins neben dem Erlebnis an sich eine Schattierung bei, die meinem Geschlecht geschuldet ist.

Ich bin mir sicher, ich bin nicht die einzige Frau, die ein Lied davon singen kann, sich viel zu häufig in Diskussionen zum VAR-Einsatz am letzten Wochenende gegenüber beteiligten Männern erst mal beweisen, ein regelrechtes Quiz bestehen zu müssen, bevor sie dem Schiedsrichter die Schuld für die Niederlage in die schwarz-weißen Adidas-Schuhe schieben darf. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob diese Diskussionen auf Stammtischniveau stattfinden oder tatsächlich fachkundig in die Tiefe greifen, ob sie in der Mittagspause am Arbeitsplatz oder in den sozialen Medien stattfinden.

Ständig lese ich in Kommentarspalten unter Podcasts und Videos oder auf Twitter, wie Frauen, die am Fußballdiskurs teilnehmen, aufgrund ihres Geschlechts diskreditiert oder zumindest nach anderen Maßstäben bewertet werden. „Wow, die kennt sich aber aus mit Fußball.“ Der Anhang „für eine Frau“ ist dabei manchmal ausgesprochen, oft auch nur implizit – aber fast immer spürbar. Es gehört zum guten Ton, Frauen, die sich durch Fachkompetenz und souveränes Auftreten auszeichnen, erst mal als „Quotenfrau“ zu betiteln, bevor man sich dann inhaltlich damit auseinandersetzt, was sie zu sagen haben. Und warum man erst mal mein Aussehen bewerten muss, bevor man im zweiten Satz dann auf meine Einschätzung zu einem niederländischen Mittelfeldtalent eingeht, bleibt auch schleierhaft.

Als auf Twitter also ein Foto die Runde machte, auf dem ein Flugblatt aus der Südkurve von Hansa Rostock zu sehen war, welches neben anderen Kurvenregeln die Abwesenheit von „Weibern“ in den ersten drei Reihen erbat, war ich zumindest nicht überrascht. Zum einen, weil die Rostocker Fanszene natürlich noch nie an der Speerspitze des Feminismus oder anderer progressiver Bewegungen einzuordnen war. Zum anderen aber auch, weil diese krude Forderung gar nicht so fernab des Grundtenors ist, dem Frauen im Fußball begegnen.

Warum ich nichts gesagt habe?

„Warum hast du denn in dem Moment nichts gesagt?“ ist also eine Frage, die sich in Bezug auf körperliche Belästigung zunächst einmal leicht mit dem klar definierten (schon rein körperlichen) Machtverhältnis beantworten lässt (in meinem Beispiel vom Hannover-Spiel auch mit der Ungewissheit über die Identität des Täters). Aber auch hierbei spielen die anderen Faktoren eine Rolle, dass mir in meiner Karriere als Liebhaberin der schönsten Nebensache der Welt recht schnell klar wurde, dass ich nicht immer – nicht oft genug – auf offene Ohren stoßen würde, würde ich mich über Sexismus beschweren.

Natürlich gibt es Anlaufstellen, gerade wenn die Übergriffe wirklich körperlich verletzend sind, auch bei unserem HSV (im Umlauf hinter 22A befindet sich der Ankerplatz, an den sich Betroffene wenden können), und aktive Fan­szenen in ganz Deutschland bemühen sich, ihre Kurven zu sicheren Orten für alle zu machen (Rostock und andere einzelne Standorte jetzt einmal ausgenommen).

Idioten im Internet

Aber auch zuletzt, als ich auf Twitter in einem kurzen Thread aufzeigte, welche Form von Diskriminierung ich als weibliche Fußballinteressierte, die in bekannteren Formaten beziehungsweise eben auch auf jener Plattform ihre Meinung kundtut, erfahre, bekam ich nicht nur Zuspruch für meinen Umgang damit. Ich musste mir anhören, es gebe nun mal Idioten im Internet, damit müsse man umgehen können.

Ich kann das auch. Darauf aufmerksam machen, dass Sexismus ein echtes Problem im Diskurs rund um Fußball ist, werde ich trotzdem immer. Auch wenn das nicht dazu führen wird, dass ich weniger Direktnachrichten erhalte, die anbieten, mich für Bilder in bestimmten Trikots zu bezahlen, oder mal neugierig sind, welcher Mann mich denn durch seine sexuellen Fähigkeiten davon überzeugt habe, mich dem Fußball zuzuwenden.

Es sind nämlich überhaupt nicht nur diese zum Teil extremen Auswüchse des Sexismus, die ich sichtbar machen möchte. Alle bis auf diese „Idioten im Internet“ sind sich ja einig, dass so was unangebracht ist. Der Nährboden für das Aufkeimen solch hemmungsloser Belästigung und Diskriminierung wird aber von den anderen, subtileren Kommentaren bereitet. Mit jedem ­vermeintlich anerkennenden „Dafür, dass sie eine Frau ist, hat sie Ahnung!“ verschärft sich der Ton gegenüber Frauen im Fußball. Der Platz in der Talkrunde, von dem es für Frauen sowieso immer nur einen gibt, wird noch mal etwas ungemütlicher, enger.

Der Wandel kommt

Der Fußball lädt zum Pathos ein, wir schwingen gern große Worte darüber, dass auch in Zeiten von Kommerzialisierung und Großinvestoren der Sport noch uns allen gehöre. Aber hat er das bisher jemals? Oder sind zumindest wir Frauen darauf angewiesen, dass uns Männer dulden? Ihre körperliche Überlegenheit und schiere Überzahl im Stadion nicht missbrauchen? Uns einen Platz in ihren Halbzeitanalysen gewähren?

All dies befindet sich im Wandel, heute mehr denn je. Mit jeder Frau, die im Diskurs sicht- und hörbar wird, wird dieser nicht nur diverser, spannender und kompletter, sondern der Fußball rückt auch näher an sein Wesen heran. Daran, dass er uns allen gehört. Vor allem geärgert an dem Vorfall in Hannover hat mich, dass wir alle aus demselben Grund vor Ort waren: weil wir unseren Verein und den Fußball lieben. Nur dass diese Leidenschaft auszuleben für Frauen eben eine wesentlich komplexere Erfahrung und Herausforderung darstellt. Im Stadion, im Internet und sonst überall. |