TRIBÜNE

Fanprojekt

Ole Schmieder und Geneviève Favé kümmern sich um die Belange der Fans.

Foto: Fanprojekt

Text: Piet Bosse

Vierzig Jahre HSV-Fanprojekt

Dieses Jahr wurde das HSV-Fanprojekt vierzig Jahre alt. War es 1983 eines der ersten in Deutschland, gibt es heute fast überall im Profifußball Fanprojekte. Und auch die Arbeit mit den Fans hat sich verändert.

Wenn HSV-Fans an das Jahr 1983 denken, wird den meisten der Gewinn des Europapokals der Landesmeister am 25. Mai und der deutsche Meistertitel in den Sinn kommen. Bilder von Happel, Hrubesch und Co. mit Henkelpott und Meisterschale entstehen dann vor dem inneren Auge. 1983 ist aber noch etwas anderes passiert, das den Menschen im und um den HSV bis heute viel bedeutet und Generationen von HSV-Fans geprägt hat: Das Fanprojekt des HSV wurde gegründet.

Ungefähr siebzig Fanprojekte gibt es heute in Deutschland. Die Bundesarbeitsgemeinschaft aller Fanprojekte ist in Nord-, Ost-, Süd- und Westgruppe aufgeteilt. Die Nordgruppe trifft sich alle zwei Monate für einen Tag. Einmal im Jahr findet eine Tagung aller Organisationen in Deutschland statt. Doch vor vierzig Jahren war das Engagement in Fanprojekten noch Pionierarbeit. Das weiß kaum jemand so gut wie Geneviève Favé. Die Sozialarbeiterin ist seit 1986 Teil des HSV-Fanprojekts. „Vorher gab es nur eines in Bremen. Nach dem tragischen Tod von Adrian Maleika haben sich Politik und Sportvereine darauf geeinigt, eines in Hamburg zu gründen“, erinnert sie sich an die Anfänge und verweist auf den Tod des Werder-Bremen-Fans Adrian Maleika, der im Oktober 1982 bei Auseinandersetzungen zwischen HSV- und Werder-Fans gestorben ist. „Die Behörde hat lange gesagt, dass Fan­gewalt ein Problem des Sports sei, die Vereine haben die Verantwortung bei der Behörde gesehen“, so Favé. Nach der Einigung haben sich Sozialarbeiter:innen um Fußballfans im Jugend- und frühen Erwachsenenalter gekümmert. Das Fanprojekt war Teil der Hamburger Sportjugend, saß im Haus des Sports und war auf alle Fußballfans ausgerichtet. Fünf Sozialarbeiter:innen haben mit HSV- und St.-Pauli-Fans zusammengearbeitet. Das übergeordnete Ziel war damals, die Gewalt im Stadion zu reduzieren. Das stand aber nicht im Fokus der Arbeit. „Wir haben viele Aktivitäten gemacht, waren zum Beispiel Ski fahren, Kanu fahren, Tennis spielen oder haben im Stadtpark eine Olympiade veranstaltet und waren regelmäßig schwimmen“, sagt Favé. Die jungen Fans waren Anfang oder Mitte zwanzig und kamen überwiegend aus den Fanclubs. 1989 wurden HSV- und St.-Pauli-Fans getrennt, seitdem sitzt das Fanprojekt der Rothosen in der Stresemannstraße. „Die Fans beider Vereine hatten unterschiedliche Vorstellungen, sodass das nicht so gut zusammengepasst hat.“

Seit 1989 sitzt das Fanprojekt im Fanhaus an der Stresemannstraße.

„Wir sind nicht die Feuerwehr“

Der Einsatz der Sozialarbeiter:innen hatte viel mit Streetwork zu tun. „Die Hauptthemen waren Gewalt sowie Drogen- und Alkoholkonsum. Wir waren viel unterwegs und auch in den Kneipen, wo die Fanclubs waren.“ Bei Geburtstagen, privaten Feiern oder anderen Treffen waren die Fanhelfer:innen immer dabei. „Wir hatten nur einen einzigen Schreibtisch in den vorigen Büroräumen“, erzählt Favé. Das änderte sich, als das Fanprojekt an die Stresemannstraße ins heutige Fanhaus zog. Man wollte die Fans zu sich in die Räume holen. Denn viele kannten das Fanprojekt zunächst nicht. „Denen war nicht klar, wer wir sind und was wir machen.“ Das änderte sich bald, es gab Angebote wie Fußball- oder Tischkickerturniere, Hilfe in der Schule, im Alltag oder bei Problemen mit der Polizei oder gemeinsames Kochen.

Dabei stellen sich viele unter einem Fanprojekt auf den ersten Blick etwas anderes vor. Die Vorstellung aus der Politik sei häufig, dass Fanprojekte Gewalt verhindern sollen, sagt Ole Schmieder, seit sechs Jahren Kollege von Favé im HSV-Fanprojekt. Bei der Arbeit des Fanprojekts geht es aber um mehr. „Wir sind nicht wie die Feuerwehr und löschen nur Brände, wir unterstützen junge Menschen bei ihren Problemen, sei es mit der Polizei oder in der Schule. Wir geben Hilfestellungen, die sie vielleicht nicht in ihrer Familie oder im Freundeskreis bekommen können.“ Bei Problemen können sich HSVer:innen auf die Unterstützung des Fanprojekts verlassen: „Wir sind letztlich immer auf der Seite der Fußballfans, auch wenn wir nicht immer alles gut finden, was sie machen“, sagt Schmieder. Dass die Sozialarbeiter:innen immer zu den Fußballfans halten, zähle zu den Grundsätzen der sozialen Arbeit.

Den Fans zuzuhören, sie in verschiedenen Lebenslagen zu unterstützen und ihnen Rat zu geben gehört genauso zu ihren Tätigkeiten wie ganz konkrete Hilfe: „Einem Fan hat ein Kollege mal dabei geholfen, den Realschulabschluss nachzuholen“, erzählt Favé. Das Fanhaus ist auch ein Ort der Zusammenkunft für HSV-Anhänger:innen, hier treffen sie sich untereinander und organisieren Sitzungen. Mehrere Gruppen der aktiven Fanszene und auch das Netzwerks Erinnerungsarbeit (Netz E) kommen dort regelmäßig zusammen. Fans bringen sich politisch stärker ein als früher.

Die Fanarbeit, sagt Schmieder, habe sich verändert. Fans seien politischer als früher und wollen im HSV-Kosmos etwas bewegen und Menschen Themen näherbringen. Auch haben organisierte Fangruppen einen anderen Anspruch an ein Fanprojekt. „Früher haben sich hier Fans getroffen, die uns gesagt haben, dass sie einen Fanclub gründen wollen“, erzählt Favé. Dann vermittelte das Fanprojekt an den Dachverband der HSV-Fanclubs, der sehr eng mit dem Fanprojekt zusammenarbeitete. Auch hat das Fanprojekt Feiern organisiert, wenn befreundete Fans anderer Vereine wie zum Beispiel Anhänger:innen des BVB oder von Eintracht Frankfurt zu Besuch waren.

Heute geht es vor allem um den Austausch mit den Fans. „Wir müssen keine Regeln an die Wand hängen, wir schreiben nichts vor“, sagt Schmieder. Auch brauche man Mitgliedern der aktiven Fanszene nicht reinzureden, sagt er und nennt ein Beispiel: „Die einzigen Leute, die entscheiden können, welche Spruchbänder auf der Nordtribüne hochgehalten werden, sind die Fans auf der Nordtribüne, da sollten wir nicht reinreden.“ Kritik könne man intern im Nachhinein trotzdem üben, sagt er.

„Ich habe gemerkt,
wie viel beim HSV
passiert ist.“

Geneviève Favé, Sozialarbeiterin

Die Fanszene ist politischer

Das Fanprojekt unterstützt Ultragruppen häufig logistisch, indem diese sich im Fanhaus treffen, oder hilft mit wie im Netz E, das es mit Recherchen oder organisatorischer Arbeit unterstützt.

Oft kommen Impulse auch von den Fans selbst. „Wir hatten hier auch schon Filmabende, dann haben wir uns getroffen, einen Film geschaut und uns darüber ausgetauscht. Die Idee hatten einige Fans“, erzählt Favé und Schmieder ergänzt: „Wir müssen uns hier gar nicht so viel selbst ausdenken, weil Leute sich mit Ideen einbringen.“

Heute sind Fans sichtbarer als früher: Auch in den Neunzigern gab es HSV-Fans, die sich gegen Rassismus und rechte Fans in den Kurven eingesetzt haben, allerdings sei das Thema damals weniger sichtbar gewesen, sagt Schmieder: „Durch die Antidiskriminierungs-AG, das Fanprojekt, das Engagement von Netz E und die klare Haltung des SC und der HSV Fußball AG merken die Menschen, dass sie nicht allein sind.“ Organisationen wie das Netz E bekommen mehr Zulauf, im HSV gibt es mittlerweile mehrere konkrete Anlaufpunkte für Fanbelange. Dass große rassistische Vorfälle im Stadion nicht mehr passieren, liegt auch an der Arbeit dieser Organisationen. Und wenn so etwas vorkommt wie im Herbst 2021 beim Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf, als Ex-HSVer Khaled Narey rassistisch beleidigt wurde, reagiert der Verein vehement. „Ich glaube, dass viele HSV-Fans jahrzehntelang die Faust in der Tasche geballt haben und sich für sich über Rassismus geärgert haben, weil ihnen nicht klar war, wie viel Unterstützung sie haben, wenn sie etwas sagen. Das hat sich geändert. Viele Leute merken, dass sie nicht allein sind.“ Die Antidiskriminierungs-AG ist auf Initiative von HSV-Fans entstanden, anders hätte sie aber auch nicht funktioniert. „Solche Initiativen müssen immer von den Leuten kommen, wir können als Fanprojekt nichts vorschreiben, sondern unterstützen die Fans“, sagt Schmieder.

An den Aktionsspieltag im Januar 2011 denkt Favé gern zurück.

An die Initiative und das Ergebnis des Engagements erinnert sich Favé besonders gern. „Das war einer der ganz besonderen Momente in meinen 36 Jahren beim Fanprojekt, weil ich gemerkt habe, wie viel beim HSV passiert ist.“ Bei einem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt im Januar 2011 organisierten die Fans einen Spieltag, der im Zeichen des Kampfes gegen Diskriminierung stand. Es gab eine Choreografie auf der Nordtribüne und eine Bilderausstellung im Umlauf des Stadions. Die Spieler präsentierten vor Anpfiff ein Transparent mit der Botschaft „Love Hamburg – Hate Racism“. „Dafür hatten wir uns öfter getroffen, haben uns mit Spielern getroffen und Klamotten und Aufkleber gemacht.“

Eine weitere Entwicklung, die Favé und Schmieder mit den Jahren aufgefallen ist: dass immer mehr Frauen zum HSV gehen. „Das finde ich richtig gut, sie engagieren sich immer mehr und haben in einem Umfeld Fuß gefasst, das lange von Männern geprägt war. Heute sind sie aus dem HSV und der Fanszene nicht mehr wegzudenken“, sagt Favé.

Zum Austausch unter HSVer:innen trägt das Fanprojekt auf mehrere Arten bei. Gemeinsam mit dem Supporters Club wird zum Beispiel jedes Jahr die Westkurvenmeisterschaft organisiert. „Da geht es um mehr als um Fußball; Leute aus der aktiven Fanszene sollen mit anderen Fans in Kontakt kommen, sei es auf dem Feld oder am Bierstand. Leute sollen zusammenkommen und zusammen Fußball spielen.“

Die Zusammenarbeit mit dem SC besteht seit dreißig Jahren. „Es hat sich viel verändert seit der SC-Gründung“, erzählt Favé und fügt an: „Wir haben schon immer viel zusammen gemacht, momentan ist der Austausch besonders gut und wir organisieren vieles gemeinsam.“ So findet die öffentliche Abteilungsleitungssitzung alle zwei Monate im Fanhaus statt. „Die Bindung ist eng, wir sind auch häufig dabei, wenn die AL-Sitzung im Sportpub Tankstelle stattfindet“, sagt Schmieder. „Der Supporters Club ist sichtbar und bindet uns bei vielen Dingen ein.“ Das betrifft aber nicht nur den SC: „Der Dreiklang aus Fanbetreuung, Supporters Club und dem Fanprojekt funktioniert sehr gut. Zusammen entwickeln die Organisationen viel Kraft.“ Jede Organisation kümmere sich um ihre eigenen Projekte, arbeite aber auch mit anderen zusammen und erreiche so viele Fans, sagt Schmieder. |