Zusammenrücken und durchstarten
Nach der Ausgliederung 2014 stand der Supporters Club kurz auf der Kippe. Timo Horn, Martin Oetjens, Olaf Fink, Mathias Helbing und Michael Richter ziehen Bilanz und formulieren ambitionierte Ziele.
Fans des HSV können künftig nicht nur in der Kurve singen, sondern auch im Chor. Ist die Nachhilfe nötig?
Timo Horn: Ne, die Fans machen das bei den Spielen großartig. Mit dem Supporters-Chor richten wir uns an Leute, die über den Spieltag hinaus Lust am Singen und am HSV haben. Wir wollen uns die Kurvenklassiker vornehmen, dazu Songs von Abschlach!, Elvis oder Lotto. Das steckt noch in den Kinderschuhen, aber die Resonanz ist schon ordentlich. Ein ehrenamtlicher Chorleiter ist auch gefunden.
Olaf Fink: Um mitzumachen, muss man kein ausgebildeter Tenor sein. Das muss alles überhaupt nicht perfekt sein, sondern Spaß machen.
Timo Horn: Ein Chor kann viel zu einem aktiven Vereinsleben beitragen als Angebot für all diejenigen, die sich zwischen den Spieltagen über den HSV austauschen wollen. Wir müssen mal schauen, ob sich tatsächlich etwas Regelmäßiges entwickelt. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir irgendwann mit dem Supporters-Chor in der Elbphilharmonie stehen und neunzig Minuten lang HSV-Lieder singen.
Braucht die geschundene Fanseele solche Streicheleinheiten?
Martin Oetjens: Die HSV-Seele hat sich in der Vergangenheit als sehr robust erwiesen. Daran hat auch der Abstieg nichts geändert, es gab weder Massenflucht, noch hat irgendwer sein Engagement heruntergefahren. Im Gegenteil: Zusammenrücken war angesagt und Reihenschließen im Angesicht des sportlichen Super-GAUs. Ich finde, dass seither ein neues Wirgefühl entstanden ist.
Timo Horn: Manche sprachen ja von „Abstiegseuphorie“, als am tiefsten Tiefpunkt die Mitgliedszahlen in die Höhe schnellten. Für mich ist Euphorie aber das falsche Wort, so fühlte sich das nicht an. Eher nach „Jetzt erst recht!“, einer Trotzreaktion im besten Sinne. Ich denke, vielen ist angesichts der schwierigen sportlichen und finanziellen Situation klar geworden: Aus der Nummer kommen wir, wenn überhaupt, nur gemeinsam raus.
Wie kann der SC zu dieser Aufbruchsstimmung beitragen?
Martin Oetjens: Da machen wir einiges. Im letzten Sommer gab es etwa den Sonderzug nach Frankfurt, der erste seit vier Jahren wieder. Im Merchandising haben wir neue Motive wie das Hermann-Rieger-Shirt entworfen, dazu gab es diverse Fan-Events, Charityaktionen und Choreografien. Viele haben die Rautenpappen am letzten Spieltag der vergangenen Saison als sehr bewegend empfunden. In diesem bitteren Moment konnten auf einmal 50.000 Menschen im Stadion gemeinsam das Symbol hochhalten, das ihnen wichtig ist.
Michael Richter: Das war ein Gänsehautmoment. Davon abgesehen geht es uns darum, dauerhaft für die Fans und ihre Anliegen da zu sein. Wir sind im Stadion präsent als Ansprechpartner, falls irgendwo der Schuh drückt, gerade auch bei Auswärtsfahrten. Wir sind aber auch über unsere digitalen Kanäle zu erreichen und offen für Kritik oder Anregungen. Das macht es uns einfacher, die Stimme der Fans in den Klub hineinzutragen.
Wie viel Gehör findet der SC im Verein?
Timo Horn: Der SC spielt wieder eine wichtige Rolle. Wir sind mit allen Gremien und Abteilungen im Klub gut vernetzt, weitreichende Entscheidungen sollten nicht mehr getroffen werden, ohne dass die Fanvertreter gehört werden. Da sind wir auf einem guten Weg. Das war nach der Ausgliederung 2014 nicht unbedingt zu erwarten: Der SC lag am Boden, die Verantwortlichen hatten sich komplett zurückgezogen. An diesem Punkt neues Vertrauen aufzubauen war schwierig und hat eine Weile gedauert. Das hätten wir uns schneller gewünscht, das sage ich ganz ehrlich. Inzwischen aber konnten wir durch beständige Arbeit viel Vertrauen zurückgewinnen und dadurch unsere Position im Verein stärken.
Dabei spielt die Organisation von Auswärtsfahrten eine wichtige Rolle.
Mathias Helbing: Ja, das ist ein zentraler Punkt. Die gemeinsamen Auswärtstouren waren früher das große Markenzeichen des SC. Mit der Ausgliederung ist das Thema jedoch in das Ticketing der AG gewandert, viele Fans begannen, ihre Touren selbst zu organisieren. Erst vor knapp zwei Jahren haben wir uns das zumindest teilweise zurückerobert, sodass wir jetzt regelmäßig Bustouren zu Auswärtsspielen anbieten.
Olaf Fink: Das wurde seinerzeit groß gefeiert mit einer Sternfahrt nach Schalke. Wir hatten das damals mit unseren Ansprechpartnern in den Regionen organisiert und sind dann mit 28 HSV-Bussen in Gelsenkirchen eingefahren, es waren sogar Fans aus Belgien und Dänemark dabei. Das war schön, „Alle in die Halle“ lautete das Motto.
Wie gut werden die Auswärtsangebote angenommen?
Mathias Helbing: Das funktioniert immer besser. Der erste Bus für das DFB-Pokal-Viertelfinale in Paderborn beispielsweise war innerhalb kürzester Zeit ausgebucht, aber wir bekommen auch an normalen Ligaspieltagen immer genug Leute zusammen. Wir mussten sogar schon einen Bus absagen, weil uns ein ehrenamtlicher Betreuer fehlte, also jemand, der freiwillig nüchtern bleibt und sich um die Organisation kümmert. Aber Nachfrage ist in jedem Fall da. Wenn es der Spielplan gut mit uns meint, werden wir für das Spiel in Köln auch wieder einen Sonderzug auf die Reise schicken.Timo Horn: Wir sind mit der Entwicklung bei den Auswärtsfahrten zufrieden. Klar, früher waren mehr Busse unterwegs, das wissen wir. Trotzdem haben wir durch regelmäßige, zuverlässige und bezahlbare Angebote für Auswärtsfahrten viele Sympathien zurückgewonnen. Das ist auch Aufgabe und Vision für die Zukunft: Wir möchten, dass der SC wieder wie selbstverständlich erster Ansprechpartner ist, wenn jemand den HSV auf fremden Platz erleben will.
Manchmal macht die Ansetzung der Spiele den Fans das Leben schwer.
Martin Oetjens: Den HSV trifft es in dieser Saison mit sechs Montagsspielen und einer Partie am Donnerstagabend besonders dicke. Viele Fans nehmen eine weite Anreise auf sich und haben es unter der Woche ungleich schwerer, ins Stadion zu kommen. Meist geht es auch ausgerechnet gegen einen Gegner mit besonders weiter Anfahrt. Das ist nicht sehr fanfreundlich, das merkt man auch an den Zuschauerzahlen.Olaf Fink: Das bewegt viele Fans, auch über den HSV hinaus. Wir engagieren uns daher in der Initiative „Unsere Kurve“, um uns mit anderen Fanvertretern auszutauschen und unsere Maßnahmen zu koordinieren. Die Terminierung war ebenfalls Thema im ständigen Arbeitskreis Fandialog, an dem neben vielen anderen Gruppen mit HSV-Bezug auch Bernd Hoffmann als Vertreter der AG regelmäßig teilnimmt. Denn eines ist klar: Es wird darauf ankommen, dass sich die Klubs positionieren und Druck auf die DFL ausüben. Wie erfolgreich das sein kann, hat der Protest der aktiven Fanszene gezeigt, als es um die Montagsspiele der ersten Liga ging.Was vielen HSV-Fans ebenfalls aufstößt, sind die Ticketpreise.
Michael Richter: Ja, es gab jetzt wieder Ärger beim Vorverkaufsstart für das Saisonfinale gegen Duisburg, das Spiel mit der erhofften Aufstiegsparty. Da sind die Preise in allen Kategorien direkt verdoppelt worden. Aus Vereinssicht ja irgendwie nachvollziehbar: Die eigenen Kassen sind leer, aber das Stadion ist trotz erhöhter Preise ausverkauft, da hat man betriebswirtschaftlich alles richtig gemacht. Als Fanvertreter sehe ich das anders, schließlich kann sich nicht jeder die teureren Tickets leisten.Olaf Fink: So was geht einfach nicht! Die Fans haben hier jahrelang das größte Elend ertragen, und dann gibt es an einem Spieltag möglicherweise mal wirklich was zu feiern, und schon werden Preise aufgerufen wie bei einem Champions-League-Kandidaten! Das fühlt sich nicht schön an.Was kann der SC da tun?
Timo Horn: Wir beschäftigen uns damit. Allerdings ist das kein Thema, zu dem wir alle naselang ein Statement abgeben. Man muss abwägen, denn man bekommt sicher schnell Applaus, wenn man die Klubführung wegen der Ticketpreise öffentlich angeht. Aber wem nützt das? Das ist nicht unser Weg. Wir suchen das direkte Gespräch mit den Verantwortlichen. Da kann man sich dann die andere Seite anhören, unsere Meinung klar mitteilen und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden.
Michael Richter: Wir pflegen in der Abteilungsleitung einen anderen Stil als früher. In der Vergangenheit wurde gern öffentlich quergeschossen, meist nicht zum Wohle des Vereins. Wir verstehen uns dagegen nicht so als Lautsprecher und setzen auf konstruktiven Dialog, allerdings kritisch und mit klarer Haltung. So haben wir eindeutig klargemacht, wie wichtig eine sozialverträgliche Preisgestaltung ist, vor allem bei den Tickets der günstigsten Kategorie.
Wie gut funktioniert die Kommunikation innerhalb des Vereins?
Martin Oetjens: Da kann man natürlich immer optimieren. Grundsätzlich erleben wir aber auf allen Ebenen eine offene und konstruktive Gesprächsatmosphäre, das gilt für den Verein genauso wie für die zuständigen Bereiche der AG. Klar, man ärgert sich auch mal, und die jährlichen Etatverhandlungen mit dem e. V. kosten manchmal Nerven – aber auch diese Kuh haben wir noch jedes Mal gemeinsam vom Eis bekommen.
Und die Zusammenarbeit mit dem Vorstand?
Timo Horn: Läuft auch gut. So lange ist der Vorstand in dieser Konstellation ja noch nicht im Amt. Verglichen mit anderen Bereichen ist die Abteilungsleitung des SC ein Urgestein beim HSV. In der Zusammenarbeit haben wir Bernd Hoffmann, Ralf Becker und Frank Wettstein immer als sehr aufgeschlossene und lösungsorientiert denkende Gesprächspartner erlebt. Letztlich werden auch sie sich daran messen lassen, was tatsächlich umgesetzt wird. Aktuell gibt es für uns keinen Grund, an Zusagen des Vorstands zu zweifeln.
Olaf Fink: Bei der Diskussion um Pyro scheint es nun auch Bewegung zu geben, die Chance auf konkrete Maßnahmen ist inzwischen recht groß. Vor allem, nachdem sich Bernd Hoffmann öffentlich positioniert hat. Man hat im Vorstand erkannt, dass man wie bisher, mit Strafen und Stadionverboten, nicht weiterkommt. Aber da gibt es noch dicke Bretter zu bohren, das betrifft ja nicht nur die Verbände, sondern auch die Politik, die dafür erst einmal Gesetze ändern müsste.
Wie ist die Haltung des SC dazu?
Timo Horn: Wir setzen auf Dialog, das haben wir immer betont. Verbote und Strafen haben das Problem bisher nicht gelöst. Deswegen wird es Zeit, umzudenken und Lösungen zu finden. Da laufen die Gespräche und ich bin optimistisch, dass der HSV ein Vorreiter in Deutschland sein kann.
Was sind eure Pläne für die nähere Zukunft?
Mathias Helbing: Wir haben in der Abteilungsleitung alle unsere Projekte, die wir vorantreiben. Wir werden uns mit neuen Podcastfolgen melden und auch noch mal das Thema Ticketpreise aufgreifen. Zum Saisonfinale kommt noch mal etwas aus dem Merchandise, vielleicht hat sich bis dahin auch schon unser Chor gefunden. Nach Möglichkeit soll es in diesem Jahr auch wieder einen Fahnentag geben, da stimmen wir uns mit den Ultras ab. Und dann ist da natürlich noch der Sonderzug.
Timo Horn: Ja! Den machen wir auf jeden Fall. Wenn es wegen der Terminlage mit dem Köln-Spiel nicht klappen sollte, dann eben bei späterer Gelegenheit. Was das für ein Highlight ist, haben wir ja im letzten Jahr auf der Fahrt nach Frankfurt erlebt. Die Stimmung ist riesig und alle feiern gemeinsam im Discowagen: Kutten, Ultras, Fanclubs, normale Fans, Einzelfahrer – alles friedlich, alles gut. So soll das sein. |
Die Abteilungsleitung des SC
Das fünfköpfige Gremium trifft sich einmal wöchentlich, um die anstehenden Aufgaben zu besprechen. Unterstützt wird es im Alltagsgeschäft von einem hauptamtlichen Geschäftsführer sowie Mitarbeitern des HSV e. V. Die Abteilungsleitung wird von den Mitgliedern für drei Jahre gewählt und arbeitet ehrenamtlich.