TRIBÜNE

Kommentar

Text: Klaus Baumann

Nie mehr 2. Liga, HSV!

Nach 32 Jahren sind wir endlich wieder Herbstmeister. Es gibt nur einen Haken: In einer Liga, in der wir nie sein wollten. Aber wie fühlt sie sich an? Es ist eine Mischung aus verhaltener Freude und Ungeduld.

Herbstmeister! Normalerweise ein Grund, nach draußen zu rennen und im Vorgarten meines Kumpels Pete vor Freude den Diver zu machen. In meinem legendären Van-der-Vaart-Trikot. Dazu gröle ich: „Deutscher Meister wird nur der HSV!“ Es gibt nur ein Problem: Wir spielen in der zweiten Liga! Mache ich es also, würde mein Nachbar Pete milde lächelnd sagen: „Ich gönne es dir, als HSV-Fan hattest du seit dreißig Jahren nichts zu lachen.“ Somit lasse ich das mit dem Rasendiving.

Diese Herbstmeisterschaft fühlte sich eher mittelgut an. Eine innere Stimme sagt: Klaus, freu dich doch. Okay, mache ich! Aber kann man sich über etwas richtig freuen, dass man bereits fest eingeplant hatte? Die Frage müsste ich eigentlich an die Bayern-Fans weiterreichen, aber mit denen rede ich nicht. Obwohl jetzt der optimale Zeitpunkt wäre, einen titelverwöhnten Süddeutschen zu fragen: „Ey, hömma, wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man jedes Jahr die Schale holt? Na ja, bis auf dieses Jahr.“

Unser Lied verschwand im Pyro-Nebel

Am schlimmsten ist, dass ich meinen Song nicht mehr im Stadion höre: „Sechsmal deutscher Meister, dreimal Pokalsieger, immer erste Liga, HSV.“ Auf einmal war das Lied im Pyronebel des 12. Mai 2018 verschollen. Unser Alleinstellungsmerkmal büßten wir am letzten Spieltag gegen Gladbach ein. Beim Trällern dieser Zeilen überkam mich jedes Mal Stolz, ich blickte in den Gästeblock gegenüber und dachte: „Tja, das könnt ihr nicht singen, ihr seid nicht mal ansatzweise Dinos.“ Ich wusste nicht, dass es schmerzen kann, ein Lied nicht mehr zu singen. Ups, jetzt kriege ich doch Gänsehaut. Es gibt nämlich etwas, dass nicht verschollen ist: WIR! Würden fast 5000 Bayern-Fans nach dem Abstieg nach Duisburg fahren, um die jüngste Truppe der zweiten Liga zu bejubeln? Never. Eher würden sie ihre Dauerkarten in der Isar versenken und die VIP-Logen kündigen.

Kaiserslautern lässt grüßen

Wo ist der Buddha in mir? Statt im Hier und Jetzt jeden Sieg in Liga zwei zu genießen, versuche ich, die Zeit vorzuspulen – auf den ersten Spieltag der neuen Saison, wenn wir als Aufsteiger beim deutschen Meister Borussia Dortmund antreten, unsere grandiose Auswärtsserie fortsetzen und mit 3:0 gewinnen. Und ich fantasiere weiter: Der HSV steht vom ersten Spieltag an auf Platz eins und gibt ihn nicht mehr her. Kaiserslautern 1998 lässt grüßen.

Otto Rehhagel, damals Meistertrainer am Betzenberg, war sich sicher: „Es war eine Sensation, die es nie mehr geben wird.“ Otto, da wusstest du noch nicht, dass auch der HSV absteigen kann. Und das allergrößte daran ist, ich höre plötzlich wieder unser Lied: Siebenmal deutscher Meister, dreimal Pokalsieger, nie mehr zweite Liga, HSV. Und den Diver mache ich diesmal direkt vom Rathausbalkon. Ich lande in den Armen von Pollersbeck, der mich sicher fängt, mir ein Autogramm zusteckt und sagt: „Junge, hast du ein Glück, dass ich hier unten stehe. Eigentlich wollte ich auf dem Balkon die Schale entgegennehmen.“ Glücklich stammele ich: „Mach das!“ |