Ihr der Kopf, wir
die Keule
Habt ihr eigentlich schon die Winterreifen auf euren VW Scirocco draufgezogen, liebe HSV-Supporters? Sauber! Da bin ich ja beruhigt! Ach, und wo wir schon dabei sind: In der nordfriesischen Ecke, in der ich aufgewachsen bin, da gab das einen Reifenhandel, der wurde von zwei Brüdern betrieben. Der reinste Chaosschuppen! Überall lagen Reifen, keiner hatte den Durchblick, was gebraucht, was neu war, was noch zu gebrauchen war, was auf den Müll konnte.
So ein bisschen erinnerte mich diese Rumpelbude schon damals an den HSV. Keine Ahnung, wie die beiden Brüder, die den Laden schmissen, regulär hießen, die wurden von allen nur „Kopf“ und „Keule“ genannt. Der eine, also „Kopf“, der regelte offenbar den Schriftverkehr und allgemein das Geschäftliche, war der kühle Stratege, während der andere, also „Keule“, eher fürs Grobe zuständig war: Reifen schleppen. Reifen montieren. Reifen verbuddeln. Reifen verbrennen. Was weiß ich. Was in so ’nem Reifenhandel halt an Arbeit anfällt.
Womit wir endgültig beim HSV gelandet wären. Wo stand das neulich noch? Irgendein Journalist hatte nach der Entlassung von Fanliebling Christian Titz irgendwo – vielleicht im „Kicker“ oder in der „Bravo Sport“ oder in der „Revue“, was weiß ich – geschrieben: „HSV – zwischen Herz und Kopf“. Sollte wohl so viel heißen wie „das Fanherz will, dass Titz bleibt“, der HSV-Vorstand als Kopf dagegen entscheidet: „Titz geht.“ Und mal ehrlich jetzt: Dieser Spagat von wegen „zwischen Herz und Kopf“, der trifft die momentane HSV-Chose wohl ganz gut.
Ich selbst war mir vor ein paar Wochen, so kurz nach dem 0:5 gegen Regensburg, als das gerade steil ging mit der Anti-Titz-Kampagne, nämlich noch total sicher, dass ich, wenn nach all der jahrelangen HSV-Scheiße nun auch noch Christian Titz entlassen würde, meinem Lieblingsklub vorerst den Rücken kehren würde. Aber echt. SO WAS VON! Mal Abstand nehmen. Bevor man noch komplett verrückt wird, also ich mein, so richtig verrückt und so: Mal runterkommen! (Nebenbei: Wie weit runter denn noch?!)
Wir HSV-Fans sind ja seit eh und je die Allerallerhärtesten. Wir sind im Reifenhandel des Fußballlebens quasi die „Keule“! Wir machen die Drecksarbeit! Wir sind fürs Grobe zuständig! Wir gehen noch ins Volksparkstadion, wenn andere sich angewidert abwenden! Jawoll! Was haben wir nicht schon alles ertragen (müssen)?! Dafür sagt man uns nach, wir wären unendlich treu. Loyal und so.
Andere Stimmen behaupten dagegen, wir seien einfach unendlich dumm. Nun ja. Vielleicht ist da ja auch was dran. Wie schafften wir das sonst nur, uns in all den Blindgängerforen, Fankneipen, auf den Stadiontribünen und den Sofas dieser Republik diese ganze, scheinbar endlose HSV-Scheiße immer noch irgendwie schönzureden! Das geht im Grunde ja wahrscheinlich doch nur, wenn man absolut saudoof und komplett naiv ist. Einigen wir uns also darauf: Unser HSV-Herz scheint ganz aus Stahl zu sein, unser Kopf dagegen wohl leider nur voller Stroh. So sind wir HSVer eben: Dumm wie zehn Meter Feldweg, aber jederzeit für „Für immer HSV“ bereit. YEAH!
Wie sagt man so? Der Fisch stinkt vom Kopf her. Soll wohl heißen: Wenn die HSV-Führungsetage keinen Plan hat, wohin die Reise gehen soll, dann läuft eh gar nichts. Beweis gefällig? Bitte mal an die letzten zehn Jahre erinnern. Was lernen wir daraus? Keine Ahnung, vielleicht aber: Es ist nicht Aufgabe des Trainers oder der Fans, den Weg des Klubs vorzugeben. Die Keule hat einfach zu funktionieren: Reifen schleppen. Reifen montieren. Reifen verbuddeln. Reifen verbrennen. Was in so ’nem Reifenhandel halt an Arbeit anfällt. Ihr Supporter müsst jetzt selbst mal nachdenken, was das im auf euch und uns Fans übertragenen Sinne bedeuten könnte. Vielleicht ja: Einfach ins Stadion gehen, Bier saufen, Hafau gucken, nach Hause fahren, Pischen, Waschen und zu Bett.
Nehmt mir das nicht krumm, aber: Brennende Herzen gibt und gab es in diesem Verein stets zu Genüge. Wenn jedes brennende Herz dem HSV einen Punkt bescheren würde, unser Klub wäre dauerhaft ganz oben dabei. Und das nicht nur in Liga zwo. Aber: Nur mit Herz, und sei es auch noch so brennend, so viel wird mir zunehmend klar, werden wir niemals erfolgreich sein. Was wir brauchen, ist offenbar weniger Emo, weniger Folklore. Wir brauchen nicht nur die Keule. Wir können hier nicht nur Reifen von A nach B tragen und in irgendwelchen Nachbarsgärten verklappen und uns dafür abfeiern, wie geil heiß unsere Herzen brennen!
Wir brauchen eben doch den Kopf, der uns den Weg weist. Wir brauchen Kompetenz, Plan, Struktur. Und seien wir ehrlich: Dafür ist weder Keule noch sind wir Fans dafür zuständig. Mehr noch: Es beschleicht mich zunehmend das Gefühl, dass es tatsächlich ganz leise – Euphorie ist in Sachen HSV grundsätzlich der allerschlechteste Ratgeber – nun ja, so was wie (ich mag es kaum aussprechen) Hoffnung auf HSV-Besserung gibt, gerade weil momentan Typen wie Bernd Hoffmann und Ralf Becker ihr emotionsbefreites und publikumsunwirksames Ding durchzuziehen scheinen. So kritisch man den Marsch Hoffmanns durch die HSV-Institutionen, die letzten zum Teil unwürdigen Titz-Wochen und das beckersche Nutzen beziehungsweise Zulassen der Anti-Titz-Medienkampagne auch bewerten mag.
Echt jetzt: Verzeiht mir, Freunde. Wenn ich nicht gerade in die Richtung zu denken versuchen würde, ich würde komplett durchdrehen. |