Der dreizehnjährige Jason von Juterczenka und sein Vater Mirco sind „Die Wochenendrebellen“. Sie reisen seit sieben Jahren durch Fußballstadien.
Jason ist Asperger-Autist und folgt daher Regeln, die zwar unbedingt, aber nicht für viele Menschen gelten. Eine davon: Um zu entscheiden, von welchem Verein er Fan sein kann, muss Jason erst Heimspiele aller Vereine gesehen haben. Vater und Sohn bloggen unter wochenendrebell.de. 2017 erhielten sie dafür einen Grimme-Preis. Mit ihrem Buch „Wir Wochenendrebellen“ sind die beiden zurzeit auf Lesereise – im Frühjahr 2019 beim HSV.
Jason, du hast fast hundert Partien im Stadion gesehen. War kein Lieblingsverein dabei?
Jason: Nein. Denn es gibt zunächst drei Ausschlusskriterien. Der Verein darf keinen Spielerkreis bilden, er darf kein Maskottchen haben und die Ökobilanz muss stimmen. Was der Verein jedoch mitbringen muss, ist eine Besonderheit seines Stadions. Das hat zum Beispiel Union Berlin mit einer Anzeigentafel aus Holz. Oder Babelsberg mit dem umgeknickten Flutlichtmast. Der Volkspark erfüllt mit seiner Uhr zwar dieses Kriterium, scheitert aber an den drei erstgenannten. Trikots, Spieler, Hymnen oder Ergebnisse spielen keine Rolle.
Du bist ungern unter lauten Menschen, die dich ungefragt berühren. Was ist so schön im Stadion?
Jason: Da wäge ich ab. Ich mag die Zugfahrten zu den Spielen und die Erinnerungswand zu Hause. Ich nehme in Kauf, dass es im Stadion voll ist, versuche aber, von anderen Besuchern wegzugehen. Wer mich anrempelt, kriegt einen Tritt gegen das Schienbein. Am liebsten bin ich im Stehblock. Idealerweise mindestens einen halben Meter weg von anderen. Meine liebste Position ist mittendrin mit Abstand.
Mirco, was ist die Erinnerungswand?
Mirco: Jason nimmt aus jedem Stadion eine Erinnerung mit. Am Anfang war das ein Schal, später waren das andere Dinge wie Pins oder Wimpel. Alle werden in Jasons Zimmer an die Erinnerungswand gehängt. Aber jetzt ist die Wand voll. Das Problem muss also gelöst werden, denn es bereitet Jason große Sorgen. Wir bauen um. Für Jason haben Regeln eine andere Bedeutung, als wir das so von den meisten Menschen kennen. Regeln werden nicht diskutiert. Sie sind Jason unfassbar wichtig, er wird nicht von ihnen abweichen.
Jason, Fantum ist ein Gemeinschaftsphänomen, du wärst Teil einer Gruppe, was dir an sich nicht liegt. Warum suchst du einen Verein, dessen Fan du sein kannst?
Jason: Das beschäftigt mich, seit ich das erste Mal mit meinem Großvater im Stadion war. Aber man muss kein Fan sein. Und bei mir wäre das auch anders. Ich gehöre dann nicht zu einer Gemeinschaft. Vielleicht wäre Papsi, mein Vater, dabei, je nachdem, wie meine Entscheidung ausfällt. Ich frage mich, ob es auf der Welt einen Verein gibt, der alle notwendigen Kriterien erfüllt. Ich sehe die Spiele, denn das muss überprüft werden. Ich besuche auch Vereine, die garantiert nicht in Betracht kommen, der Vollständigkeit halber. Es gibt aber keine Wiederholungen.
Ist Groundhopping dein Hobby?
Jason: Nein, dafür machen wir es zu selten. Mein Blog spektrograph.com ist eher mein Hobby, denn daran schreibe ich jede Woche. Ich veröffentliche immer mittwochs um acht Uhr. Es ist wichtig, dass Menschen das lesen. Wissenschaft ist wichtig.
Sind die Leser also deine Fans?
Jason: Vielleicht. Es gibt einige, die lesen sich das immer wieder durch und schreiben mir, und es gibt andere, die nur einmal zufällig da sind.
Was ist ein Fußballfan?
Jason: Es gibt viele verschiedene, das ist zu vielfältig. Solange die Leute mich nicht anrempeln, beobachte ich sie, damit ich mir ein Bild vom Verein machen kann. Denn eine Mannschaft ohne Fans ist nicht denkbar. Ein Verein definiert sich für mich durch sein Stadion und seine Fans. Die Stadt kann auch mal von Bedeutung sein. Auf Schalke zum Beispiel. Da ist es immer so, als wäre es gerade kurz vorm Spiel. In Hoffenheim auch. Da ist die Verbundenheit zum Fußball groß. Die Geschichte des Vereins ist wichtig. Fan zu sein kann jedoch enden, nämlich dann, wenn eines meiner Kriterien nicht mehr erfüllt ist.
Mirco, bist du Fan eines Vereins?
Mirco: Da ich in Solingen geboren bin, wäre es eigentlich Fortuna Düsseldorf. Bevor das mit Jason losging, war ich vielleicht zwei-, dreimal in einem Stadion, aber eher in Dortmund, weil meine Frau BVB-Fan ist. Ich war Fernsehfußballgucker. Jason schaut aber nie Spiele außerhalb des Stadions. Denn es geht ihm weniger ums Spiel als um das Drumherum. Das Geschehen auf dem Platz ist eher im Hintergrund. Taktik oder Aufstellungen interessieren ihn nicht.
Wie wählt ihr eure Stadionbesuche aus?
Mirco: Das macht Jason. Wenn ich beruflich unterwegs bin, dann kommt er mit und schaut, ob da ein Spiel ist. Jason organisiert das im Detail. Wenn ich auf Reisen arbeite, schreibt Jason an seinem Buch oder seinem Blog oder pflegt seine Google-Maps-Nachtzuglisten. Er ist autark und genießt das sehr.
Regeln haben in eurer Familie eine besondere Bedeutung. Faszinieren euch auch die Regeln am Fußball?
Mirco: Über die Regeln sind wir zum Podcast gekommen, über Collinas Erben. Jason fand es so faszinierend, dass es einen Podcast über Regeln gibt, dass wir selbst einen machen wollten. Von unserem Podcast unter dem Namen Radiorebell gibt es mittlerweile 45 Folgen. |