Des Wahnsinns fleißigster Gestalter
Die ersten Wochen unserer ersten Zweitligasaison sind vorbei, und nüchtern betrachtet kann man sagen: zehn Spiele, 18 Punkte, 12:11 Tore und aktuell Platz vier. Ein genauerer Blick auf die Tabelle verrät, wie wenig Aussagekraft diese Zahlen für das Projekt Wiederaufstieg haben. Auch sind sie wenig geeignet, den emotionalen Anteil, den dieser Abstieg hatte und hat, widerzuspiegeln.
Ich muss mich immer noch schütteln, wenn ich mich mit meinen Freunden schon um zwölf Uhr in Stellingen treffe, und gleich noch mal, weil der Gegner plötzlich Regensburg heißt. Aber all dieses Schütteln bedeutete nichts im Vergleich zu dem Gefühl nach dem Spiel! Eine Klatsche in München, ein mehr als deutlicher Sieg von Dortmund im Volksparkstadion, das war man irgendwie gewohnt, man hatte sich zumindest damit abgefunden, dass das aktuell nicht die Mannschaften sind, mit denen wir uns messen können. Aber zu Hause 5:0 von Jahn Regensburg verprügelt zu werden ist neu (und das ist nicht despektierlich gegenüber dem Verein aus Regensburg gemeint!). Auch das 3:0 zum Start gegen Kiel tat mir persönlich sehr weh.
Ausverkauftes Haus, Flutlichtspiel und der Wunsch, direkt mal ein Ausrufezeichen zu setzen, nur kam es mal wieder anders. Wie so oft beim HSV! Das ist wohl die einzige Konstante, die wirklich treu zu uns steht: die Achterbahnfahrt der Gefühle. Man mag sagen, bei jedem gehe es mal rauf, mal runter, und hätte damit sicher nicht unrecht, was aber die Schwankungen beim HSV betrifft, so muss man immer von gefühlten Extremen reden. Bei uns scheint es nur himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt zu geben, und mein eigenes Seelenleben will ich da nicht außen vor lassen. Als Fan, der die Geschicke des Vereins nicht lenkt, kann man sich das ruhig rausnehmen.
Was allerdings das direkte Umfeld des Vereins angeht, da wünscht man sich mehr Besonnenheit und die nötige Übersicht, und ich finde, da haben wir Fortschritte gemacht. Was nicht bedeutet, es gäbe keine Luft nach oben! Trainerdiskussionen vom sechsten Spieltag an sind sicher nicht die Lösung, zumal man unserem Trainer nun wirklich kein rabenschwarzes Zeugnis ausstellen kann. Ja, es gibt Verbesserungspotenzial, natürlich!
Die häufig viel zu harmlose, in Teilen gar nicht stattfindende Offensive und auch das ein oder andere hanebüchene Abwehrverhalten sind sicherlich Thema in der Mannschaft, im Trainerstab und im Training selbst. Christian Titz gestaltet gerade den von uns schon so lange erhofften und auch schon dreitausendmal vom Verein angekündigten Durchbruch mit, da können und werden auch weiterhin nicht nur fehlerfreie Abläufe zutage treten. Dem Menschen liegt es leider ja auch immer viel näher, die Fehler und das Fehlende zu sehen, das Gute und Positive fallen dabei hinten rüber.
Jüngstes Team der Liga
Wir haben aktuell eine unglaublich junge Mannschaft, die jüngste der gesamten Liga, und ich finde nicht, dass man den Jungs nicht anmerkt, dass sie für das brennen, was sie da tun. Logischerweise fehlt auf dem Platz auch mal die zündende Idee, manchmal vielleicht der Mut, und das ärgert einen als Zuschauer, keine Frage, aber die Jungs dümpeln nicht jedes Spiel neunzig Minuten vor sich hin und warten auf den Abpfiff! Auch finde ich, dass unter unserem derzeitigen Trainer endlich mal wieder Spieler besser geworden sind, ein Job, der zum Trainerdasein dazugehört wie Gras auf den Fußballplatz, aber doch so häufig verfehlt wird.
„Wahnsinn ist, immer wieder dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten.“
Wir haben dieses Jahr nicht für viel Geld große Namen eingekauft – endlich, möchte ich da sagen! Die letzten dieser Käufe waren nicht mehr als ein temporär zu gebrauchender Flop! Jetzt haben wir zum Beispiel einen neunzehn Jahre alten Rick van Drongelen, der sich massiv gesteigert hat und hinten drin einen bärenstarken Job macht. Selbst David Bates, dem man bei seinem ersten Einsatz noch die große und für mich verständliche Anspannung hier und da zu sehr angemerkt hat, kommt von Spiel zu Spiel besser rein und hat mich am gestrigen Sonntag gegen Bochum durchaus überzeugt und in drei, vier Szenen sogar richtig begeistert. Ebenso ist Christian Titz neben Bernhard Peters, dessen Ausscheiden ich sehr bedauere, mitverantwortlich für die mittlerweile gute Durchlässigkeit von unseren U‑Mannschaften in den Profikader. Nicht zuletzt aber genießt unser Trainer spürbar den Rückhalt der Mannschaft, und ihm gehört in meinen Augen ein großer Anteil daran, dass bei uns nach dem Abstieg nicht komplette Untergangsstimmung herrschte, sondern Aufbruchsstimmung.
Jedes Gute braucht seine Zeit
Wir würden uns wohl alle eine Garantie wünschen, etwas, an dem wir uns festhalten können, wenn man mal wieder enttäuschungsgeplagt aus dem Stadion schleicht, aber die wird uns kein Trainer der Welt ausstellen können. Ich will wie jeder andere von uns auch den direkten Wiederaufstieg und bin auch wie jeder andere nicht mit allem zufrieden, was passiert und was uns auf dem Rasen angeboten wird, aber ich weigere mich, jetzt schon wieder Scheiße zu schreien und alles hinzuschmeißen. Was am Ende wieder nur zu den Fehlern führt, die uns die letzten Jahre unsere sportliche Souveränität gekostet haben. Kurz gesagt, was wir brauchen, werden wir nicht im hunderttausendsten Trainerwechsel im 21. Jahrhundert finden. Wie Albert Einstein so schön sagte: Wahnsinn ist, immer wieder dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten. Zum Schluss vielleicht noch eins: Ungeduld ist in der Tat auch eine meiner größten Schwächen, aber wir wissen auch alle, dass ein jedes Gute seine Zeit braucht. Geben wir sie unserem Verein! So völlig in die falsche Richtung galoppieren wir nicht.
Dieser Artikel wurde mit bestem Wissen und Gewissen am Montag, dem 22. Oktober, gefertigt. Nun haben wir Dienstag, den 23. Oktober, und es haben sich zwei Dinge geändert. Zuerst einmal sind wir durch das Ergebnis des Montagsspiels auf Platz fünf „abgerutscht“, und zweitens durften wir heute Mittag nun doch dem hunderttausendsten Trainerwechsel im 21. Jahrhundert beim HSV beiwohnen. Der Wunsch nach Geduld und Zeit mit und für den Trainer und die Mannschaft war wohl zu hoch gegriffen, sehr schade! Deswegen hier an dieser Stelle ein Dankeschön an Christian Titz für seine gute Arbeit! Natürlich auch aus naheliegenden Gründen alles Gute für Hannes Wolf und möge ihm vielleicht die nötige Geduld entgegengebracht und das unabdingbare Vertrauen lange genug geschenkt werden! |